Liegt kein schriftlicher Liefervertrag vor, wird aber trotzdem vom Nutzer eines Grundstücks Strom verbraucht, muss sich das Energieversorgungsunternehmen wegen der Bezahlung der Stromrechnung vorrangig an den tatsächlichen Nutzer (Pächter, Mieter) halten. Der Eigentümer des Grundstücks muss nicht zahlen.
(BGH vom 02.07.2014, VIII ZR 316/13)
Nicht selten kommt es vor, dass ein (neuer) Mieter oder Pächter einfach Strom bezieht und geliefert bekommt, ohne dass ein schriftlicher Liefervertrag aufgesetzt worden ist. Trotzdem liegt damit ein rechtsgültiger Vertrag vor.
Der Vertragsabschluss kommt wie folgt zustande:
a) Die tatsächliche Energielieferung des Versorgungsunternehmens wird als Angebot zum Abschluss eines Vertrags auf entgeltliche Energielieferung angesehen. Es handelt sich um eine sog. Realofferte.
b) Dieses Angebot wird vom Nutzer/Verbraucher durch den tatsächlichen Stromverbrauch (wie der Jurist sagt) „konkludent“ angenommen.
Vertragspartner des Energieversorgungsunternehmens wird deshalb auch nicht – wie der Bundesgerichtshof in der aktuellen Entscheidung vom 02.07.2014 klarstellt – der Grundstückseigentümer, sondern der tatsächliche Verbraucher und Nutzer, in der Regel also ein Pächter, Mieter oder sonstiger tatsächlicher Nutzer des Grundstücks.
Immerhin ging es in dem konkret zu entscheidenden Fall um Stromkosten in Höhe von 32.539,09 Euro (für einen Lieferzeitraum von knapp drei Jahren). Der vom Versorgungsunternehmen auf Zahlung dieser Summe verklagte Grundstückseigentümer hatte das Grundstück im Januar 2007 erworben und wenige Tage später an seinen Sohn verpachtet. Im Pachtvertrag zwischen den beiden war geregelt, dass der Pächter die Stromkosten aufgrund eines eigenen Vertrags mit dem Versorgungsunternehmen tragen solle. Der Pächter verbrauchte dann zwar erhebliche Mengen an Strom, schloss allerdings keinen schriftlichen Stromversorgungsvertrag ab. Er teilte dem Energieversorger auch nicht mit, dass er Strom verbrauche. Der ahnungslose Energieversorger ließ den Stromverbrauch regelmäßig ablesen und schickte entsprechende Rechnungen zunächst (erfolglos) an die frühere Grundstückseigentümerin, die mehrfach mitteilte, dass sie mit dem Grundbesitz nichts mehr zu tun habe. Daraufhin wandte sich der Energieversorger an den neuen Grundstückseigentümer. Dieser konnte die behaupteten Ansprüche des Energieversorgers gegen ihn vor den Zivilgerichten – und jetzt in letzter Instanz auch vor dem Bundesgerichtshof – erfolgreich abwehren.
Den klagenden Energieversorger half auch nicht das vorgebrachte Argument, dass der beklagte Grundstückseigentümer für wenige Tage (zwischen dem Erwerb des Grundstücks durch ihn und der Weitergabe an den Pächter) in ganz geringem Umfang selbst Energie verbraucht hatte. Derartige kurzfristige und geringfügige Energieentnahmen sind nach Meinung des Bundesgerichtshofs bei der Feststellung, wer Vertragspartner geworden ist, unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen an stabilen Vertragsbeziehungen zu vernachlässigen.
Für viele Eigentümer von (Haus-) Grundstücken, deren Pächter oder Mieter gegenüber dem Energieversorger nachlässig sind, ist das Urteil eine große Erleichterung.
Die Entscheidung sollte aber nicht als „Freibrief“ fehlinterpretiert werden. Denn es sind durchaus Fallkonstellationen denkbar, in denen auch der Grundstückseigentümer für Stromlieferungen haften könnte.
Hubertus Strüber
Rechtsanwalt